Moment Mal

„Ja, ja, ich merk schon, dein Herz schlägt jetzt für den Osten…“ Ich sitze mit Freunden aus der Schulzeit in einem netten Café direkt am Neckar in Esslingen. Gerade haben wir uns durch den dichten Verkehr im Ballungsraum Stuttgart gekämpft, da schwärme ich den anderen erstmal etwas vor von der unberührten Natur an der Elbe und von den wunderbaren Weiten Brandenburgs. Schon kommen wir ins Erzählen und Vergleichen. Sprechen über das Lebensgefühl hüben und drüben. Über Infrastruktur, Arbeitsplätze, Löhne. Über Zukunftsperspektiven. Über die Bedeutung der Kirchen. Über den sozialen Zusammenhalt. Über Sorgen, die Menschen sich machen.

„Was habt ihr da oben eigentlich für ein Problem mit Ausländern?“ Für Stuttgarter, die sehr erfahren sind im internationalen Zusammenleben (Ausländeranteil 25 %, Menschen mit Migrationshintergrund über 44 %), ist unverständlich, wenn Menschen in Brandenburg über „Überfremdung“ klagen (Ausländeranteil 3,6 %). „Warum bekommt die AfD mit ihrem Nationalismus, ihrer Politik der Abschottung und ihrer Neigung zu Hetze und Hass bei euch so viel Zustimmung?“

Das wüsste ich selber gerne. Zurück aus dem Urlaub, stelle ich fest: In der Prignitz tobt inzwischen der Wahlkampf. Die Gesprächsthemen aus dem Esslinger Café finde ich auf Plakaten und in Wahlaufrufen wieder. Auch hier wird die Frage von Hüben und Drüben gestellt. Da steht angeblich der Osten auf – und zwar wofür? Dafür, Vielfalt, Toleranz und ein respektvolles Miteinander abzuwerten? Dafür, dass nicht das Klima bedroht sei, sondern der Wohlstand?

Sollte damit wirklich treffend beschrieben sein, was Menschen in Ostdeutschland bewegt? Ist es tatsächlich „der Osten“, der aufstehen will für Intoleranz, Rassismus und Ausgrenzung? Oder wollen uns eher ein paar selbsternannte Wendevollender – nicht selten westdeutscher Herkunft! – weismachen, unserer Gesellschaft wäre mit ihren Parolen gedient?

Mein ost-west-nord-süddeutsches christliches Menschenherz schlägt jedenfalls ganz anders. Und wo schlägt Ihr Herz?